Das angehaltene Leben/Die Gedanken eines Mörders in der Haft
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Die Gedanken eines Mörders in der Haft
Maurizio Torchio serviert mit "Das angehaltene Leben" keine leichte Kost. Er lässt den Leser eintauchen in die Gedankenwelt eines Mörders, der lebenslang in Isolationshaft sitzt. Herausragend dabei: die Sprache, ebenso karg und präzise wie erfüllt von Wärme und Mitgefühl.
Ein Mann sitzt im Gefängnis. Ein Entführer und Mörder. Sein Entlassungsdatum: der 99.99.9999. So zumindest wird es in den Gefängnisrechner eingetragen, denn: "Lebenslänglich ist etwas, was ein Computer nicht verstehen kann."
Damit ist der Inhalt von "Das angehaltene Leben" im Grunde schon erzählt: Der Protagonist sitzt in Isolationshaft. Er sieht, was um ihn herum passiert, er lauscht, und er erzählt davon, weil er ja doch nicht schweigen kann. Und entwickelt so eine brutale wie berührende Poesie eines gefangenen Menschen, wie man sie selten gelesen hat.
Von Anfang an macht die Sprache "Das angehaltene Leben" so besonders: Karg, registrierend und präzise ist sie, aber auch erfüllt von Wärme und Mitgefühl. Man erschrickt: Dieser Entführer, der sieben Monate mit seinem Opfer im Wald hauste, dieser Kerl, der einen anderen Menschen umgebracht hat, wächst einem innerhalb kürzester Zeit ans Herz. Man folgt gern seinem mäandernden Gedankenstrom, der sich in der Einsamkeit seiner Zelle entfaltet. Er denkt beispielsweise über einen Bankräuber nach - der im Gefängnis viel mehr Respekt bekommt als ein Entführer. Und das, obwohl er auf seiner Flucht versehentlich einen Jungen anschießt und dessen Leben zerstört: "So ist die Gewalt, sie hält die Zeit an. Die des Jungen, seiner Mutter und desjenigen, der im Gefängnis landet, um mich zu verachten."
Der 1970 in Turin geborene Maurizio Torchio muss viel recherchiert, gelesen, geforscht haben zum Gefängnisalltag, so authentisch und plastisch sind seine Schilderungen. Die Beschreibung zermürbender Rituale und des menschenunwürdigen Essens, das noch nicht mal Hunde anrühren würden, die detaillierten Erklärungen des ausgeklügelten Machtspiels zwischen Wärtern und Gefangenen: Man kann ihn sich vorstellen, diesen engen Kosmos hinter Gittern. Und doch ist "Das angehaltene Leben" kein dokumentarischer Roman: Es ist ein Nachdenken über Hilflosigkeit und Einsamkeit, ein Panoptikum der zwischenmenschlichen Verzweiflungen - und natürlich eine Würdigung der Außenseiter, deren Stimme sonst niemand hört.
Was ist das für ein Knast, fragt man sich im Laufe des Buchs. Wirklich nur das Gefängnis auf der ganz realen Ebene? Oder bleibt doch die bittertriste Erkenntnis: Der Knast, das sind wir selbst? Die Ohnmacht, das unaufhörliche Sprechen darüber: Man denkt oft an Samuel Beckett, auch wegen der klaustrophobischen Ausgangslage. Ja, dieser Roman ist schwere Kost. Doch liest er sich erstaunlich leicht, aller geschilderten Brutalität und Düsternis zum Trotz - weil zwischen den Zeilen immer wieder eine Menschlichkeit durchschimmert, die das angehaltene Leben erträglich macht. Ein mitfühlendes Buch über die Gefangenschaft des Menschen - noch dazu mitreißend erzählt. Und das, obwohl der Protagonist die ganze Zeit isoliert in seiner Zelle sitzt - und die Welt nur in seinem und unserem Kopf entstehen lässt.