Das angehaltene Leben

Da mauriziotorchio.

Was für ein atemberaubender Roman! Hier werden Gefängnis, Insassen und Personal beschrieben wie ein Mythos, der tiefe Wahrheiten über den Menschen offenbart.

Maurizio Torchios fulminanter Gefängnis-Roman wirkt wie ein Faustschlag – kein Wort ist überflüssig. Auf jeder Seite herrscht eine heilige Nüchternheit der Sprache.

Eine faszinierende Beschreibung eines menschlichen Ausnahmezustands, die so brutal wie poetisch zu lesen ist.

Von Anfang an macht die Sprache "Das angehaltene Leben" so besonders: Karg, registrierend und präzise ist sie, aber auch erfüllt von Wärme und Mitgefühl

Das angehaltene Leben


Ein Mann sitzt seine lebenslängliche Strafe in der Einzelhaft ab – er hat die Tochter des „Kaffeekönigs“ entführt, später dann seinen Wärter umgebracht. Er klagt nicht an, sondern beschreibt, wie das Gefängnis Tag für Tag mehr zum eigenen Körper wird: „Mir sind Nerven für das ganze Gefängnis gewachsen. Wenn einer durch den Gang unterm Hof geht, ist es, als ginge er über meinen linken Arm.“ Maurizio Torchio ist etwas Einzigartiges gelungen: Mit sparsamsten Worten macht er die absolute Gegenwart, die pulsierende Leere der Haft physisch erfahrbar. Ein Roman wie ein Faustschlag, in dem das „Gefangensein“ auch eine Metapher ist für das Menschsein.


2017
Zsolnay
Übersetzt aus dem Italienischen von Annette Kopetzki
Förderpreis der Hamburger Kulturbehörde für literarische Übersetzung.

Presse

Theater der Keller - Das angehaltene Leben

- Ein stilles Schreien. Ulfrid Kleinert. Sächsischen Zeitung.
- WDR 3 Buchrezension. Martin Peter Becker. WDR 3.
- Mitteilungen aus der Hölle. Volker Breidecker. Süddeutsche Zeitung.
- Ex libris. Hanna Ronzheimer. Ö1 Ex libris.
- Die Gedanken eines Mörders in der Haft. Martin Peter Becker. Deutschlandfunk Kultur.
- Meditation über das Gefangensein. Andreas Wirthensohn. Wiener Zeitung.

Das erste Kapitel

Theater der Keller - Das angehaltene Leben

Sie sagen: Ohren. Du klappst die Ohren mit den Händen vor und drehst dich erst nach rechts, dann nach links.

Nasenlöcher. Du biegst den Kopf zurück, um die Inspektion zu erleichtern.

Mund. Du machst den Mund auf. Die Türen des Körpers öffnen sich auf Befehl. Du öffnest den Mund, doch sie nähren dich nicht. Sie fügen nichts hinzu, sie kontrollieren, damit du nichts hast.

Zunge anheben. Du gehorchst.

Zunge rausstrecken. Du gehorchst.

Zahnfleisch. Du ziehst die Lippen hoch, mit den Händen. Deine Finger im Dienst der Wärter.

Der Mund ist leer, alles vorschriftsgemäß. Kommt man zurück, ist er meistens leer, denn beim Ausgang sollte man viel reden. Man sollte mit einer Frau zusammen sein, die das Gefängnis kennt: weil sie selbst Gefangene war oder als Kind zum Besuch eines Vaters, eines Bruders mitgenommen wurde. Vielleicht sitzt ihr Mann noch. Manche Frauen haben es eilig, sie verstehen nichts. Sie denken, wenn du seit zwanzig Jahren keine Frau hattest, willst du dich schon auf der Straße überfressen. Doch wer das Gefängnis kennt, wird dich nach Hause bringen, dich Tropfen für Tropfen sättigen. Ihr werdet nachmittags zu ihr gehen, hoffen, dass es bald dunkel wird. Sie wird dir einen Kaffee anbieten. Und du wirst reden. Du wirst reden. Du musst dir den Mund ausleeren. Ein bisschen Gefängnis rauslassen. Wenn du nicht redest, ist kein Platz für anderes da.

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